Wer bereits lange in Digitalien unterwegs ist, kennt den Spruch: Ein Kalenderjahr entspricht der Entwicklung von mindestens vier Webjahren. Heute nagen die deutlich schnelllebigeren Social Media-Plattformen an eingerichteten Komfortzonen und Prozessen.
In Beratungen, Workshops oder Seminaren erhalte ich Einblick in die alltäglichen Herausforderungen von Social Media-Verantwortlichen. Deren interne Situation im Firmengehäuse bringt Gunnar Sohn in seinem Blog leider nur zu gut auf den Punkt:
„Sein und Schein lassen sich aber nicht mehr so leicht kaschieren. In den vergangenen 25 Jahren seien vor allem narzisstische Führungskräfte herangezogen worden, die die Interessen anderer besonders wenig achten, schreibt Peter Paschek in seinem Buch ‚Leadership in der digitalen Welt‘. Das Internet macht diese Defizite im Führungsverhalten sichtbarer – es fungiert wie ein Vergrößerungsglas. Wer als Egozentriker unterwegs ist, wird kaum Fähigkeiten zur offenen Kommunikation und Kritikfähigkeit mitbringen. Im Ego-Modus pflegt man eher das Bild des Machers, der alles im Griff hat. Deshalb steigen bei diesen Pappenheimern die Aversionen gegen direkte Dialoge im Social Web. ‚Führung‘ in digitalen Zeiten heißt nach Auffassung von Ole Wintermann nicht mehr Verbot, Informationsasymmetrie und Einzäunung. Für Narzissten ist das eine Zumutung. Deshalb wollen sie ihre autoritären Komfortzonen auch nicht verlassen.“
Gunnar Sohn / ichsagmal.com
Komfortzonen verlassen…
Ich sage es mal so: Nie zuvor hatten es so viele Menschen gleichzeitig in unserer Gesellschaft so komfortabel wie in den letzten Jahrzehnten. Das Streben nach einem komfortableren Leben, nach einer besseren Situation für den Nachwuchs ist in vielen Fällen aufgegangen.
Das wir dieses Ziel erreicht haben bedeutet aber nicht, darin eingenistet vor sich hin zu komfortablieren. Dazu sind wir mit viel zu rasanten Fortschritten in vielen Facetten unseres Lebens umgeben. Was wir verlernt haben, ist statt Zielerreichung mit Wandel umzugehen. Mit der viel beschriebenen digitalen Transformation.
Trotz „Neuland“-Betrachtung: Die Digitalisierung der Wirtschaft veränderte und verändert die Arbeitswelt. Der Autor von „Digitale Disruption, Dr. Jens-Uwe Meyer dazu:
„[Wir brauchen andere] Qualifikationen, die dahingehend funktionieren, dass wir die Kreativität von Menschen verstärkt brauchen. Die dahin gehen, dass wir Innovationsgeist und Unternehmergeist in Unternehmen brauchen.“
Quelle: Leipziger Personalforum / Digitale Disruption
Tipp: Video Statement Leipziger Personalforum; Dr. Jens-Uwe Meyer, Innovationsexperte & Top-Management-Berater (YouTube)
Eigentlich doch ein gutes Szenario: Weg von Aufgaben-Abarbeiten im Akkord hin zu kreativen Tätigkeiten. Und doch missbehagt es vielen, Komfortzonen zu verlassen. Warum? An für mich völlig unvermuteter Stelle habe ich verstanden, worin ein Kernproblem liegt. Wir konnten es in der Situation alle selber kaum glauben.
In der NEUES MACHEN-Gruppe bei Rayaworx* kam es nämlich zu einer richtig kontroversen Diskussion, als wir über ein sehr bekanntes Internet-Meme sprachen:
your comfort zone vs. where the magic happens
Mit der Aufforderung, die Komfortzone zu verlassen, um sich zu Neuem inspirieren zu lassen. Erst nach langem Gerangel um Worte und Formulierungen stellte sich heraus, warum manche Menschen dieses Sinnbild rundheraus ablehnen: Sie wollen ja schließlich ihre Komfortzone nicht verlassen.
Sie befürchten, ohne jeglichen Komfort sein zu müssen. Au contraire! Eine gute Portion Komfort bleibt erhalten – und neue Komfortzonen können erschlossen werden.
In der sehr spannenden Diskussion kamen wir zu dem Fazit, dass wir künftig nur noch davon sprechen werden, die „Komfortzonen zu erweitern“ oder die „Komfortzonen weiterzuentwickeln“.
Ich spreche hier aus Erfahrung: Etwas Komfort nehmen wir immer mit, egal welche Herausforderung es ist. Mal ist es weniger, mal mehr. Für meinen Fall mit Startup-Gründung in Spanien beschrieb ich das vor kurzem im 2go2-Mallorca-Blog.
Rund um das Thema Digitalisierung, Wandel der Arbeit und Future of Work stelle ich immer wieder fest: Wir müssen darüber alle viel mehr kommunizieren: In Prozess-orientierten Unternehmen wird wenig geredet und zuviel einfach befolgt. Welche Formulierungen dabei gewählt werden (s.o.) hat einen großen Einfluss darauf, verstanden zu werden.
Tipp: Podcast-Folge Raynacast 03 Wir müssen reden
(Podcast von Rainer Schuppe auf Soundcloud.com)
Social Media Komfortzonen
Bezogen auf Social Media nehmen wir genauso Komfortzonen mit, die es zu erweitern und zu entwickeln gilt, wenn wir den Dialog mit Interessent/inn/en und Kundschaft ernst nehmen. Hier ein paar Beispiele zur Erläuterung:
- Manche denken, sie träfen im Social Web komplett andere Menschen an. Dabei sind es in erster Linie diejenigen, die unsere Leistungen oder Produkte schätzen: Kund/inn/en, Kooperationspartner, Fans oder Interessent/inn/en. Das Wissen um die Bedürfnisse dieser Menschen sollte vorhanden sein – und kann durch den Social Media-Dialog ergänzt werden.
- Ein Stück Komfort besteht auch in den Themen und Kommunikationsbausteinen: Die Content-Analyse für die Content Strategie deckt auf, was es bereits an bekannten Inhalten gibt, der in im Social Media-Dialog genutzt und weiterentwickelt werden kann. Aus dem Dialog ergeben sich kontinuierlich neue Inspirationen für Themen und Inhalte.
- Social Media verlagert die Kommunikation hin zu einem Dialog zwischen Menschen – Expert/inn/en als Freelancer oder im Unternehmen werden über Broschüre oder Website hinaus sichtbar und direkt zum offenen Kommunikationspartner. Ein am Kunden orientiertes Business wird dieses unmittelbare Feedback zu Produkten, Leistungen, Marken, Image, Geschäftsführung oder Kommunikation schätzen. Und diese Erkenntnisse entsprechend in die innovative Weiter- und Neuentwicklung von Leistungen oder Produkten sowie Weiterbildung investieren.
- Darüber hinaus werden durch Social Media neue Kommunikationsstränge im Unternehmen geknüpft: Das isolierte Verharren in klar abgegrenzten „Cost Centers“ passt nicht zu der typischerweise übergreifend aufgestellten Social Media-Strategie. So kommen dadurch wieder Teile des Unternehmens in den Dialog, was förderlich für das interne Innovations-Klima sein kann und sollte.
- Geschichten rund um Marke und Unternehmen sind und bleiben wichtig – und zwar keine werblich aufgeblasenen Stories, die kaum zur Person, Marke oder Geschäft passen. Je authentischer wir in der Kommunikation sind, desto überzeugender wirken wir. Daher ist es auch enorm von Bedeutung, dass es nicht beim Geschichten-Erzählen bleibt: Das Storytelling muss genauso ein Storydoing sein. So muss beispielsweise ein Unternehmen, dass sich als nahbar präsentiert, über Kanäle, die von Interessent/inn/en gewählt werden, zeitnah erreichbar sein.
Nicht nur reden, auch tun. Storydoing
Als PR-Frau lernte ich letztes Jahrhundert „Tue Gutes und rede darüber“ – im 21. Jahrhundert ist es eher „Tue Gutes / Auffallendes / Unterhaltsames und lass andere darüber reden / bloggen / facebooken / instagramen / twittern / whatnot“. Zum Storydoing las ich jüngst in einem Campaign Magazine-Beitrag:
In essence, the point he [Beto Nahmad / VCCP Spain] makes is that, in an age of super-saturated communication, we need to start thinking less about brand narrative and start thinking more about brand drama. Put simply, the most important question for 21st century communication isn’t „what is our brand saying?“, it’s „what is our brand doing?“
Charles Vallance im Campaign Magazine
Exakt. Im digitalen Zeitalter werden Firmen und ihre Unternehmungen einfach transparenter; aussen wie innen. Erfolgreich bleibt auf lange Sicht, wer dem Titel eines nach wie vor empfehlenswerten Buchs „transparent und glaubwürdig“ nachstrebt. Wahrscheinlich nicht der komfortabelste Weg für jedes Unternehmen, ich weiss. Jedoch: siehe Anfang…
* In unserem Coworking Space Rayaworx auf Mallorca haben wir seit Mai dieses Jahres eine von den Coworkern gewünschtes Treffen: Jeden Mittwoch treffen sich Interessierte zu 90 Minuten NEUES MACHEN. Wobei der Titel sowohl für neues Machen als auch Neues machen steht.
Doris Schuppe • Dieser Beitrag Von Social Media und Komfortzonen erschien zuerst im Blog DoSchu.Com
Illustration / Fotos: DoSchu / DoSchu.Com
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1 thought on “Von Social Media und Komfortzonen”
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