Einige regen sich auf, das Social Web sei ein „asoziales Web“, weil interessierte Kreise sehr erfolgreich Social Media für ihre Propaganda einzusetzen wissen. Vor etwas über einem Jahr beschrieb ich in meiner Dialemma-Serie das Dialemma Medienkompetenz & digitale Kompetenzen. Und leider muss ich hier aus aktuellem Anlass nochmals einhaken.
Anlass zur neuerlichen Betrachtung
Warum greife ich das Thema Medienkompetenz neuerlich auf? Nun, im April 2018 besuchte ich das Isarcamp –Barcamp der Münchner Webwoche– und nahm an der Session „Digital Confused“ teil. Die Diskussion waberte auf diversen Ebenen:
- Da ist jemand frustriert über nachlassende Resonanz auf Facebook und anderen Social Media-Kanälen
- Andere empfinden sich als Opfer einer Informationsflut im Social Web –nebenbei angemerkt selber durch ihre eigenen Interaktionen wie Abonnements, Kommentare oder Likes erzeugt–
- Und wieder andere sehen Social Media als „asoziales Medium“ (O-Ton) an, weil sich Inhalte bestimmter Kreise so derart gut durchsetzen und fast schon von Plattformen wie Facebook, Twitter oder YouTube hofiert werden*
Als das Social Web Formen annahm haben sich viele digital affine Menschen gefreut. Erinnern wir uns noch mal kurz an nur ein paar der vielen Aspekte von Social Media, die viele Nutzer.innen erfreu(t)en:
7 Aspekte, die wir an Social Media lieb(t)en
Aktive statt passive Mediennutzung • Interessierte können ihre Themen, Meinungen und Interessen digital (recherchierbar und auffindbar) sichtbar machen und dabei wesentlich mehr Menschen erreichen
Interaktive statt passive Mediennutzung • durch Social Media finden nicht nur Inhalte ihr interessiertes Publikum, nein auch die Menschen finden zueinander und können aufwandsarm in einen wechselseitigen Austausch treten
Nische statt Mainstream • selbst sehr spezifische Nischenthemen wie ‚Bienenhaltung in der Stadt‘ finden passende Kommunikationspartner.innen für den Austausch und das Lernen voneinander
Einfacher nutzbar als professionelle Web-Anwendungen • die Nutzung von Social Media ist wesentlich aufwandsärmer und die Bedienung sehr intuitiv da nicht an professionelle Nutzer.innen ausgerichtet –sensationell was Profis da mit Software-Oberflächen so zugemutet wurde und wird–
Kostenfreie Nutzung statt Lizenzverträge • auf Vimeo, YouTube oder auch Facebook können beispielsweise Videodateien kostenfrei gespeichert und mit guter Performance abgerufen werden – dazu brauchten wir vor Social Media einen Video-Hoster, den wir teuer zahlen mussten
Mobil statt ortsgebunden • richtig abgehoben haben Social Media mit den Smartphones, da sie als mobile Apps wunderbar in mobilen Endgeräten nutzbar sind –wir erinnern uns, das war lange bevor klassische Mediengattungen ihre Angebote Smartphone-kompatibel ausrichteten
Team statt allein • per Smartphone und Social Media haben wir unsere ‚Telefonjoker‘ mit dabei: Braucht jemand unterwegs Hilfestellung, eine.r aus dem persönlichen Netzwerk wird es schon mitbekommen und helfen
Was hat sich verändert?
Wer jetzt den ’schwarzen Peter‘ allein den Plattformen zuschiebt macht es sich meines Erachtens ein bisserl zu einfach. In Beratungen, Seminaren, Fragerunden oder Workshops zu Social Media stelle ich (leider) immer wieder fest: Die Nutzung von Social Media ist so niedrigschwellig möglich, dass viele schlichtweg kaum Medienkompetenz erwerben.
Obwohl Nutzer.innen zum Teil schon sehr lange Facebook, Twitter & Co. nutzen, beschäftigen sie sich enorm selten mit Funktionen, die ihnen mehr Kontrolle über die zu betrachtenden Inhalte geben. Warum machen das so wenige?
- Die aktive und selbstbestimmte Nutzung der Plattformen erfordert etwas Aufwand (das weiss ich aus eigener Anwendung, siehe unten bei den 9 Sofort-Hilfestellungen).
- Die von den jeweiligen Plattformen als ‚passende Inhalte‘ angelieferten Posts können sehr überzeugend sein, einen aufregen und die Aufmerksamkeit geschickt absorbieren…
Dabei gilt es hier genauso Medienkompetenz aufzubauen wie bei eMail und Telefon: Schließlich sind wir ja auch bei unverlangten eMails oder Telefonanrufen in der Lage diese (mehr oder weniger leicht) abzuwimmeln und uns auf das für uns Relevante zu konzentrieren.
Auf Medien wie Facebook bezogen: Muss ich mich mitempören? Muss ich durch meine Interaktion und Weiterleitung selber noch aktiv dazu beitragen, dass der Aufreger-Inhalt mehr Menschen, nämlich die mit mir verknüpften Nutzer.innen, als relevanter Inhalt angezeigt wird?
Eine Frage, die sich stets zu stellen lohnt bevor eigentlich unliebsame Einträge auf der Plattform (quasi unbeabsichtigt) populär gemacht werden. Meine Haltung ist da oft das gepflegte Ignorieren. Auf diese Weise gebe ich weder der Plattform den Hinweis, mir öfter solche Inhalte anzuzeigen, noch werden meine Kontakte auf diesen Inhalt hingewiesen.
Haben wir alle zu viel VUKA?
„Heute wächst Wissen durch digitale Vernetzung exponentiell. Es verändert sich ständig, öffnet neue Durchgänge und verkürzt Wege.
Da sich dieses System kontinuierlich im Fluss bewegt, müssen sich die Menschen im 21. Jahrhundert an die multiplen Veränderungen der VUCA-Welt individuell und kollektiv anpassen.“
Einleitende Absätze des Bildung 4.0 Manifest
VUKA (engl. VUCA) • V-volatil U-unsicher K-komplex A-ambivalent
‚Gefühlte Konfusion‘ ist aktuell nicht nur in Social Media eine normale Begleiterscheinung unserer Zeit, mit der wir uns täglich arrangieren – alle und jede.r.
Anders als von einigen technologischen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts gewohnt befinden sich heute Technologien des Social Web in einem fortwährenden, enorm raschen Veränderungsprozess. Mehr als wir es vielleicht gerne hätten:
- Die Social Media-Vielfalt verändert sich, rascher als Telefon oder TV
- Menschen interagieren mit Social Media, verändern sich wie diese (Stichwort Sehgewohnheiten etc.) – und verändern wiederum die Social Web-Plattformen
- Menschen wechseln bevorzugte Plattformen, denn sie schließen sich ihrer Community digital auf den Kanälen an, auf denen diese vorwiegend aktiv sind
Ich vergleiche das gerne mit dem Fernsehprogramm. 3 Programme – damit bin ich aufgewachsen. Und ich erinnere mich gut wie das Ende des Abendlandes ausgerufen wurde als die privaten TV-Sender die Frequenzen erstürmten.
Heute sind wir in der Lage dieses breite Angebot zu filtern und sogar mit vielfältigen Streaming-Angeboten wie Amazon Prime Video, Hulu, Netflix etc. abzurunden. Da höre ich lustigerweise keine Klagen der Überforderung; Äusserungen dazu gehen eher so in Richtung Bereicherung der Medienvielfalt und individuellere Auswahlmöglichkeit.
Sofort-Maßnahmen als Hilfestellung
Wir brauchen also Zeit. Ein Gut, dass in einer als schnelllebig empfundenen Gegenwart besonders kostbar ist. Medienkompetenz aufbauen ist ein langfristiger und fortwährender Prozess, ganz besonders wenn die Erneuerungszyklen zunehmend kürzer werden. Als kurzfristige Handreichung habe ich hier neun Maßnahmen für Facebook, Instagram, Twitter und Xing, mit denen ihr im Social Web etwas mehr persönliche Souveränität gewinnen könnt.
9 Tipps contra Social Media-‚Informationsflut‘:
- Listen auf Facebook sowie Twitter anlegen mit thematisch sortierten Kontakten / Profilen
- Thematisch relevante Kontakte oder Profile (Listen!) auf Facebook oder Twitter immer mal wieder aktiv aufrufen, Beiträge liken, kommentieren oder weiterempfehlen
- Stummschalten der Facebook Gruppen, die nicht im persönlichen Fokus stehen, und bei Interesse aktiv dort vorbeischauen
- Favoriten bei Facebook nutzen um relevante Gruppen und Seiten auf Facebook im Zugriff zu haben
- Thematisch einsortierende Stichworte bei Xing gleich bei der Verknüpfung mit neuen Kontakten vergeben
- Twitter Profile in eine perönliche ‚VIP‘-Liste sortieren, die individuell relevante Inhalte wie menschliche Filter aus den Weiten des Internet herausfischen
- Twitter Moments nutzen um sich kontinuierlich interessante Tweets zu bestimmten Themen zu notieren
- In die Profile der abonnierten Instagram-Profile klicken anstatt sich nur von der App durch ein von der Plattform angeliefertes Foto-Meer treiben zu lassen
- Fokus setzen (Interessengruppen, thematisch) und auf relevante Kanäle für den Dialog (!) mit Interessierten oder Kundschaft konzentrieren (Qualität vor Quantität)
(Hier als Infografik 9 Tipps contra Social Media- „Informationsflut“ herunterladen, 626 kB)
Etwas Aufwand, der sich meiner Erfahrung nach lohnt.
Denn das Social Web bietet uns eine breite Palette an Werkzeugen, die Menschen mit Menschen verknüpfen. Es ist wichtig, wie wir das Social Web gestalten.
Social Media – der Mensch macht’s.
* Zu dem Thema Hofierung extremer Inhalte durch die Plattformen empfehle ich den Vortrag von Richard Gutjahr auf der re:publica 2018
Doris Schuppe • Dieser Beitrag Dialemma: Social Media oder die Plattform ist schuld erschien zuerst im Blog DoSchu.Com
Fotos/Screenshots: DoSchu / DoSchu.Com • Illustrationen mit canva.com; Hinweis: Der Beitrag erschien aus freien Stücken und ohne Bezahlung der erwähnten Services.
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