Die jüngsten Diskussionen um den Einsatz von Social Media für die Präsidentenwahl in den USA zeigen: Findige Marketeers haben Wege gefunden, das größte Social Network Facebook für ihre Zwecke einzuspannen. Wohin entwickelt sich das digitale Marketing? Was zeigt das Kampagnen-Beispiel? Geht es im Social Web künftig nur noch um die geschickteste Manipulation?
Die erste Manipulation: Der Glaube, mit Facebook lassen sich Wahlen gewinnen. Ich frage mich gerade, ob schon jemand im Unternehmen folgende Ansage hört: „Frau Schmitz, Herr Müller, machen Sie mir eine Facebook-Kampagne, die so wirksam ist wie es alle von dem Trump-Wahlsieg erzählen!“
Übertragbarkeit US-Wahlkampf auf Marketing?
Bevor wir hier wuschig werden und das Gefühl oberhand nimmt, wir hätten was verpasst und müssen mit Schnellschüssen aufholen: Mal ganz grundsätzlich möchte ich fragen, ob es die digitale Kampagne war, die Donald Trump zur Präsidentschaft verhalf? Der auf Personen zugeschnittenen Kommunikation und Werbung wird viel Effekt zugeschrieben – dabei dürfen wir nicht übersehen: Ein interessierter Dienstleister möchte Aufträge einwerben…
Ich wundere mich auch, dass im August dieses Jahres es deutlich weniger Furore machte, als die Netzpolitik.org diesen Beitrag veröffentlichte:
98 Daten, die Facebook über dich weiss und nutzt, um Werbung auf dich zuzuschneiden
Aus 98 unterschiedlichen Datenpunkten versucht Facebook, Zielgruppen-gerechte Werbung auszuliefern. Vielen ist nicht bekannt, was das Unternehmen alles über einen gesammelt haben könnte. Wir haben eine lange Liste.
Quelle: Netzpolitik.org
Was am Kampagnenbeispiel zu hinterfragen ist:
- Wie schon eingangs angemerkt: In der Diskussion findet viel Werbe-Kommunikation des Dienstleistungsunternehmen Cambridge Analytica statt: Die Wirksamkeit ihres „Psycho-Targeting“ wird behauptet, genau wissen können wir es nicht, schließlich verrät der Dienstleister ja nicht sein Konzept zum Nachmachen.
- Das von Cambridge Analytica angeführte Modell zur Einstufung der Persönlichkeit hat auch viele kritische Stimmen: wikipedia.org/wiki/Big_Five_(Psychologie).
- Wahlkampf ist ein anderes Kommunikations-Momentum als Marketing-Kommunikation, hier finden andere Entscheidungsprozesse statt; z.B. kostet mich eine Wahl (vordergründig) nichts.
- Der US-Markt für Datenquellen ist nicht auf die deutsche oder europäische Situation übertragbar.
- Den Ausgang des US-Wahlkampf 2016 im wesentlichen auf digitale Kampagnen zurückzuführen greift zu kurz und stützt vor allem die Werbebotschaft des Dienstleistungsunternehmens.
- Der Fokus auf Cambridge Analytica als einzigartiger Dienstleister verstellt den Blick auf weitere ähnlich gelagerte Unternehmen.
Denkanstösse zum Beispiel und der skizzierten Methodik:
- Bestimmte demographische Daten wie Alter, Geschlecht, Wohnort oder spezielle Kundendaten wie Bestellhistorie oder Zahlungsmoral werden schon lange in der Segmentierung von Kampagnen oder personalisiertem Online-Shopping genutzt.
- Die breite Diskussion um Datenspeicherung, Datenzusammenführung und psychologische Manipulation ist wichtig. Sich der Ohnmacht hingeben und dem „Big Data Kult“ zu ergeben ist die vereinfachende, bequeme Schlussfolgerung.
- Was in den USA vermutlich möglich ist, hat hier keine Datengrundlage.
- Jede/r Besorgte sollte gleich einen Beitrag zur Stärkung des Blogs Netzpolitik.org leisten: Spenden an Netzpolitik.org (steuerlich absetzbar)
- Es ist wichtig über die geplante Aufweichung der Zweckbindungen von Datenerhebung und Datenspeicherung zu diskutieren, die laut Beckedahl / Netzpolitik.org beim Innenministerium in Vorbereitung ist.
- Digitale Medien gehen uns alle an – egal wie intensiv wir sie nutzen; unser aller Medienkompetenz braucht Aufklärung, Unwissen darf nicht mehr mit Neuland-Charakterisierung kaschiert werden. „Das Ungefähre ist der neue Mainstream“, klagt Wolf Lotter in der Brand Eins 11/2016: „Die Vernunft schmilzt uns unter dem Hintern weg.“
- Liebt eure Kundschaft: Es ist in Ordnung, auf verschiedene Kundengruppen zugeschnittene Leistungen anzubieten und zu kommunizieren. Psychologische Tricks auf persönlicher Ebene sollten in einer die Kundschaft liebenden Kommunikation keine Rolle spielen.
- Wissensgesellschaft bedeutet nicht, das Denken an künstliche Intelligenz (AI), Algorithmen oder Maschinen abzugeben: Geistesblitze, Versuch, Irren, Lernen aus Fehlversuchen und Veränderung sind die Parameter – mechanische Prozesskonzepte sind es nicht.
- Wer solche Methoden wie zum Trump-Wahlkampf ablehnt ist weder von Vorgestern noch haben sie das Internet nicht verstanden. Sie sind einfach beim Menschen, und das ist ein wichtiger Ansatz, heute vielleicht wichtiger als je zuvor.
- Computer, Social Media, Big Data etc. sind nur Tools, kein Wissen und keine schöpferische Intelligenz. Oder ist eine Bibliothek in euren Augen „klug“?
Social Media 2017ff.
Das Beispiel US-Wahlkamp hat es geschafft, die Aufmerksamkeit vieler Menschen zu gewinnen – eine gute Grundlage, um über Datensammlungen, Filterblasen und mögliche Manipulationen via Social Media zu diskutieren. Eine Plattform zur Diskussion kann dabei auch die Digitalcharta sein: DigitalCharta.eu. Deren Ansatz empfinde ich als sehr richtig:
…das Digitale nicht als Quelle der Angst, sondern als Chance für ein gutes Leben in einer globalen Zukunft zu erfassen…
Quelle: digitalcharta.eu
Links :: Analysen / Einschätzungen
Analyse in der Schweizer Zeitschrift „Das Magazin“.
Patrick Beuth in der ZEIT
Markus Beckedahl im Morgenmagazin Interview (Facebook Video)
BR Zündfunk Interview mit Hannes Grasegger
BR Zündfunk Interview mit Benedikt Koehler
Links zur weiteren Vertiefung
OCEAN-Model in wikipedia (auch CANOE-, Big Five Model oder Fünf-Faktoren-Modell)
Fachartikel zur Vorhersage menschlichen Verhaltens: Private traits and attributes are predictable from digital records of human behavior
Alexander Nix Konferenzvortrag „The Power of Big Data and Psychographics“ zeigt auf, welche digital verfügbare Daten in persönliche zugeschnittenen Kampagnen zusammen geführt werden können
Begriffe aus der digitalen Welt erkläre ich übrigens im Blog-Glossar
Doris Schuppe • Dieser Beitrag Quo vadis, Social Media 2017 erschien zuerst im Blog DoSchu.Com
Fotos: DoSchu / DoSchu.Com
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3 thoughts on “Quo vadis, Social Media 2017”
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