Zukunft planen – besonders im Social Web erleben wir täglich die Grenzen unser Vorausschau. Aus der sozialen Welt am Draht erhalten wir nun viele Impulse, die Datenflut stellt uns jedoch vor neue Herausforderungen. Ines Seidel sagt: „Szenariotechnik hilft beim Sortieren!“
Denn vielleicht fehlt uns ja einfach noch das richtige Handwerkzeug. Meine Coworking-Kollegin Ines Seidel ist Trendanalystin, sie zeigt uns in 5 Aspekten auf, was Szenariotechnik für die Zukunftsplanung und Social Media-Strategieentwicklung leisten kann.
:1: Du hast als als Trendforscherin die Agentur für Zukunftsfitness gegründet. Was steckt in diesem Kunstwort?
Ines Seidel: Ein anderes Wort für Zukunftsfitness ist Zukunftsfähigkeit. Heute wird auch viel über Resilienz gesprochen. Beides geht in die gleiche Richtung: Es geht um die Fähigkeit, sich immer wieder auf Veränderungen einzulassen und gleichzeitig eine klare Linie zu fahren. Das muss trainiert werden wie ein Muskel.
Die Agentur für Zukunftsfitness bietet Organisationen quasi die Fitnessgeräte und Trainingsprogramme dafür. Szenario-Arbeit ist zum Beispiel ein Tool, um sich als Team zukunftsfit zu machen.
„Es geht um die Fähigkeit, sich immer wieder auf Veränderungen einzulassen und gleichzeitig eine klare Linie zu fahren. Das muss trainiert werden wie ein Muskel.“
Ines Seidel
:2: In Deinem fix&freitags Vortrag Zukunftsszenarien haben wir als Teilnehmer einen Einblick in die Szenariotechnik erhalten. Wie häufig wird das in Unternehmen genutzt?
Ines Seidel: Dazu gibt es keine Statistik, auf jeden Fall: Tendenz steigend. In großen Konzernen ist die Auseinandersetzung mit möglichen Zukünften weit verbreitet. Ich sehe das auch im Mittelstand und in kleineren Unternehmen im Kommen. Allerdings sind die Prozesse, wie sie klassischerweise in der Szenario-Literatur beschrieben werden, dann oft überdimensioniert.
Kurzportrait Ines Seidel
Für den MDR war Ines Seidel als Fernsehforscherin tätig, als Research Analyst in der Strategieberatung Monitor Group und als Markt- und Trendanalystin arbeitete sie für die Finnischen Außenhandelsbüros (FinPro). Seit 2010 unterstützt sie mit eigener Agentur Unternehmen dabei, ihre Zukunftsfitness zu verbessern. Im Fokus stehen Trends der Themengebiete Vernetzung und soziale Medien, demographischer Wandel und urbanes Leben sowie Nachhaltigkeit und Veränderungen der Arbeitswelt. (Update: Seit 2012 folgt Ines Seidel ihrer Passion und ist Künstlerin)
Ines Seidel
:3: Wie schaut es mit dem Zeit- und Kostenaufwand beim Einsatz der Szenariotechnik in Untermehmen aus? Welcher Nutzen steht dem Aufwand gegenüber?
Ines Seidel: Klar, man kann das sehr aufwändig machen und muss das je nach Fragestellung auch. Wenn es um langfristige Investitions-Entscheidungen geht oder um die Einschätzung von Risiken neuer Technologien, dann sind Exkursionen, Experten-Befragungen oder zeitintensive Recherchen einzuplanen. Können damit Fehlinvestitionen vermieden werden, ist das auch gerechtfertigt.
Oft weiß ein Unternehmen – bzw. die Mitarbeiter – bereits ausreichend über Einflussfaktoren Bescheid. Dann kommt es darauf an, dieses Wissen für strategische Entscheidungen nutzbar zu machen. Das geht mit einem partizipativen Szenario-Prozess wunderbar. Und der Aufwand ist mit 2 x 2 Workshop-Tagen gering.
„Veränderung innerhalb einer Firma gelingt nur, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sie auch wollen. Szenariotechnik lässt verschiedene Perspektiven zu Wort kommen und eine gemeinsame Vision entstehen.“
Ines Seidel
Mit solchen Szenarien lassen sich z.B. künftige Kundenwünsche antizipieren. Oder simulieren, wie sich Wettbewerber verhalten könnten. Der Nutzen hat also viel mit den Schlagworten Innovation und Risikomanagement zu tun.
Es gibt noch einen Nutzen, der mit Kommunikation und Motivation zusammenhängt: Wer sich mit Trends beschäftigt, der weiß, wie schwer es ist, vom Wissen zu einer Veränderung zu kommen. Du brauchst nur an solche Themen wie Nachhaltigkeit oder Feminisierung zu denken. So etwas verlangt Veränderung innerhalb einer Firma. Aber die gelingt nur, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sie auch wollen. Mit einem Szenario-Prozess, in dem die verschiedenen Perspektiven zu Wort kommen und eine gemeinsame Vision entsteht, schafft man die besten Voraussetzungen dafür.
:4: Konkret auf die Social Media Kommunikation bezogen: Wie können wir in der Strategie-Entwicklung diese Technik nutzen?
Ines Seidel: Ich sehe verschiedene Anwendungsmöglichkeiten. Zum einen – ganz vorhersehbar – den Szenario-Prozess von A bis Z, um eine geeignete Strategie zu entwickeln. Das beginnt mit der Frage, was das Unternehmen mit Social Media-Kommunikation bezweckt.
Der Szenario-Prozess liefert verschiedene Zukunftsversionen, die plausiblen Entwicklungen entsprechen. Damit fragt man dann, was heißt es in Szenario XY, wenn das Unternehmen dieses Ziel erreichen will, was würde das für Ressourcen erfordern usw. So entstehen die Dos and Don’ts pro Szenario. Was davon dann sofort umgesetzt wird und was als Plan B bereitsteht, muss man natürlich immer noch selbst entscheiden.
Wenn es um das Thema Krisenkommunikation geht, bietet es sich an, Krisenszenarien zu entwickeln und am besten auch realistisch durchzuspielen. In ähnlicher Weise können Szenarien helfen, verschiedene Kundentypen der Zukunft (oder Mitarbeiter oder Bewerber) in Geschichten als so genannte „Personas“ zum Leben zu erwecken und dann deren Kommunikations-Verhalten zu berücksichtigen.
:5: Im Social Web ist es ja so, dass wir zwar eine Strategie entwickeln, wie sich der Dialog entwickelt bestimmen weniger die Unternehmen. So muss oft nachjustiert und Anregungen aus den Interessengruppen aufgegriffen werden. Die agile Projektsteuerung kann hier m.E. gute Inputs für die Prozessgestaltung liefern. Wie passt das im Vortrag angesprochene TrendWiki in das Szenario hinein?
Ines Seidel: Genau, eine Strategie haben ist das eine. Aber die taugt nichts, ohne eine kontinuierliche Überprüfung und Anpassung. Wenn ein Unternehmen zum Beispiel nach einem Szenarioprozess weiß, welche Entwicklungen genauer zu beobachten sind, richtet es ein Frühwarnsystem ein und scannt gezielt nach sogenannten „schwachen Signalen“ für Trendveränderungen. Die Erkenntnisse daraus werden dann in den Strategie-Prozess zurückgespielt.
„Soziale Medien öffnen ganz neue Möglichkeiten, am Puls der Zeit zu sein – allerdings angesichts der Datenflut auch neue Herausforderungen.“
Ines Seidel
Soziale Medien öffnen da ganz neue Möglichkeiten, am Puls der Zeit zu sein – allerdings angesichts der Datenflut auch neue Herausforderungen. Ich warte zum Beispiel noch auf einen intelligenten Service, der Pinterest auswerten kann und die visuellen „trending topics“ liefert…
TrendWiki gehört auch in die Kategorie „Soziale Medien“, aber es ist maßgeschneidert für Trendmonitoring. Ich kenne TrendWiki von DataRangers gut, weil ich es bei den Finnischen Aussenhandelsbüros eingeführt habe. Mit einem Browserbutton kann ich Texte oder Bilder in die Anwendung laden, mit Tags und Kommentaren versehen.
Wenn das ein Projektteam gemeinsam macht, sorgt die Kombination aus Crowdsourcing und Datamining dafür, dass neue Muster schnell sichtbar werden. Vor allem fängt die Diskussion, was die konkret bedeuten, nicht erst zum nächsten Strategie-Meeting an, sondern läuft in dem Wiki ständig mit. Perfekt zum täglichen Training der „Zukunftsmuskeln“!
Liebe Ines, herzlichen Dank für deine 5 spannenden Antworten!
Illustration: DoSchu.Com / Foto: Tobias Schumacher / Screenshots: Ines Seidel
Weitere Interviews der Serie:
„5 Antworten :: Social Media & …“ – Interview Serie im Blog
1 thought on “5 Antworten :: Social Media & Szenariotechnik”
Comments are closed.