„Social Media und Krankenhaus? Mit Twitter zum Arzt?“ fragte der Social Media Club Augsburg und lud ins örtliche Klinikum. In beachtlicher Höhe trafen sich im Juli Social Media Interessierte zum wahrscheinlich höchsten SMC-Event im 14. Stock, wo künftig Rettungshubschrauber landen werden. Und ich befragte den Kommunikations- und Marketingverantwortlichen Raphael Doderer vom Augsburger Klinikum zu Ansätzen, Erfolgen und Planungen in sozialen Medien.
In der Region Bayerisch-Schwaben ist das Klinikum Augsburg mit über 5.000 Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber – 4.158 davon sind Frauen. Im Social Web ist das Krankenhaus noch verhalten aktiv, zählt aber zu den ersten Krankenhäusern in Deutschland, das für die Beschäftigten Social Media Guidelines veröffentlichte.
:1: Herr Doderer, noch sind Sie und das Klinikum Augsburg auf dem Weg ins Social Web. Was hindert Sie daran, ähnlich wie Ihre Branchenkollegen Asklepios, Klinikum Essen-Mitte, Schön-Kliniken oder Vivantes Berlin in sozialen Medien aktiv zu sein?
Raphael Doderer: In den letzten beiden Jahren haben wir unser Klinik-Marketing zunächst grundlegend geändert, insbesondere unser etabliertes Patientenmagazin komplett neu gelauncht und auch unser Klinik-TV modernisiert. In diesem Kontext haben wir natürlich auch über crossmediale Integration nachgedacht. Ich bin überzeugt, dass wir zunächst auch unseren Internetauftritt zielgruppengerecht optimieren müssen, bevor wir Social Media in der letzten Ausbaustufe nutzen.
Wir wollen nicht die Instrumente um ihrer selbst willen einsetzen, sondern für die Menschen, die wir erreichen wollen. Konkret bedeutet dies, dass wir derzeit nach der ersten Konsolidierung des Marketings und der „Quick Wins“ auch in diesem Bereich unsere Marketingstrategie für die nächsten Jahre festlegen.
Dabei müssen Krankenhäuser insgesamt das Thema Marketing neu denken – für viele Kliniken ist Marketing, einen Flyer zu produzieren. Wir sind nicht nur für die „bunten Bildchen“ zuständig, sondern Unternehmenskommunikation und Marketing kann gerade auch am Krankenhaus mehr. Leider fehlen allzu oft die notwendigen Mittel, da in der Vergangenheit – auch aus den Rahmenbedingungen heraus – Kliniken oft kein Marketing betrieben haben. Von Marketing-Budgets zwischen 3 und 5 Prozent des Ertrags wie in anderen Dienstleistungsbranchen üblich sind wir meilenweit entfernt.
Wir gehen in Augsburg die ersten einfachen Schritte:
- Wir hören zu und haben dafür ein Social Media Monitoring eingeführt
- Wir engagieren uns zunehmend in sozialen Netzwerken und beantworten Klinikbewertungen von Patienten und Angehörigen auf den entsprechenden Portalen
- Wir beziehen Themen, die Nutzer bewegen, in unsere Kommunikation ein
- Wir schaffen erste eigene Social Media Angebote: Unser YouTube-Kanal ist seit 2011 aktiv und verzeichnet rund 80.000 Aufrufe, jede Woche zwischen 2.000 und 3.000 Klicks – Tendenz steigend!
:2: Wie kommt es ausgerechnet zu dem Start der Aktivitäten auf YouTube?
Raphael Doderer: Gerade der YouTube-Kanal ist für mich auch ein gutes Beispiel für Integration und Crossmedia: Seit Jahren haben wir unser aufwändig und professionell produziertes Klinik-TV nur im Hauskanal für Patienten ausgestrahlt. Heute finden Sie die Sendung und die einzelnen Beiträge integriert mittels QR-Code in unserem Patientenmagazin sowie in der Anzeigenwerbung. Darüber hinaus strahlen wir die Sendung bei augsburg.tv aus und sind dort in der Online-Mediathek gelistet.
Bewegtbild-Inhalte kommen in der Gesundheitskommunikation gut an: Ich kenne Videos anderer Krankenhäuser – zum Beispiel zur Geburt –, die bereits 150.000 Abrufe und mehr haben. Aber eigentlich ist das ja klar: 96 Prozent der werdenden Mütter informieren sich online, bevor sie die Klinik für die Entbindung auswählen. Insofern überlegen wir nun genau, welches Online-Angebot für welche Zielgruppe wirklich sinnvoll ist.
Außerdem standen wir vor der Herausforderung, einen Imagefilm fürs Klinikum machen zu dürfen – und wir haben über 40 Kliniken, Institute und Medizinische Zentren, 26 Chefärzte vertreten nahezu alle Fachdisziplinen der Medizin unter einem Dach. Das Ziel war ein emotionaler Film, der verschiedene Zielgruppen anspricht, der zukunftsfähig und damit modular aufgebaut ist. Und so haben wir mit der pro air Medienagentur nicht einen Imagefilm produziert, sondern viele! Beispielsweise stellen unsere Chefärzte in 99-Sekunden-Spots ihr Fachgebiet und ihre Klinik persönlich vor.
Einige, die anfänglich etwas skeptisch waren, sind heute von den Klickraten unseres YouTube-Kanals sowie ihrer eigenen Spots sehr überzeugt… Sie erhalten auch Feedback zu den Online-Videos im Gespräch mit den Patienten – was wollen wir mehr?
Neben unseren Klinik-TV-Beiträgen sowie den Imagevideos haben wir sehr bald zusätzliche Videos online, in denen unsere Mitarbeiter ihre Berufe vorstellen. Azubis wie Studenten, Leitende Oberärzte wie Krankenschwestern kommen zu Wort. Sie stellen authentisch das Arbeitsfeld am Klinikum vor und werben somit neue Kollegen.
Kurzportrait Raphael Doderer
Seit 2010 leitet Raphael Doderer die Stabsstelle Unternehmenskommunikation und Marketing am Klinikum Augsburg. Zuvor war der Germanist (M.A.) und Dialogmarketing-Fachwirt (BAW) als Sachgebietsleiter Kommunikation, Vertrieb, Marketing bei der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. tätig. Während des Studiums arbeitete er als Hilfskraft am Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft, für Werbeagenturen sowie als Lehrkraft für Informatik am Gymnasium bei St. Stephan. Der Augsburger engagiert sich seit 2009 als ehrenamtlicher Medienbeauftragter der Arbeitsgemeinschaft der Augsburger Hilfsorganisationen.
Raphael Doderer / Facebook :: Klinikum Augsburg :: KlinikumWebmaster / YouTube
:3: Die vielen Beispiele aus den USA könnten den einen Pfleger oder die andere Ärztin verleiten, online Sprechstunden anzubieten oder auf Facebook ein Gesundheitsratgeber zu sein. Wie sorgen Sie intern für den Know-how-Aufbau rund um Social Media: Wie sehen Ihre Social Media Guidelines aus, gibt es Workshops oder ähnliches?
Raphael Doderer: Mit unserer Agentur explido WebMarketing starteten wir 2011 den Prozess zur Erstellung der Social Media Guidelines – natürlich im internen Dialog mit den relevanten Stakeholdern. Von Anfang war der Personalrat intensiv in die Vorbereitungen und Ausarbeitungen eingebunden, nachdem gerade auch die Jugendvertretung überlegte, sich online zu engagieren. Mit dem bloßen Papier ist es jedoch nicht getan, wir versuchen die Guidelines mit Leben zu füllen.
Konkret haben wir darüber in den internen Medien immer wieder berichtet, und es gab es eine Hörsaal-Veranstaltung für alle Mitarbeiter zum Thema Social Media. Inzwischen gehört dies nun zum Curriculum gerade unserer jungen Kolleginnen und Kollegen: In unserer Akademie erlernen 600 Azubis Gesundheitsberufe, sie sind primäre Zielgruppe als „digital natives“ für unsere Empfehlungen und Tipps zu Sozialen Netzwerken.
Junge Mitarbeiter kennen zwar zum Beispiel Facebook aus ihrem privaten Umfeld, wissen aber nicht, welche Risiken und Nebenwirkungen sie im beruflichen Alltag bergen. Soll ich mit einem Patient befreundet sein, kann ich einfach Fotos von der Station ins Netz stellen, wie gehe ich mit Freundschaftsanfragen von Kollegen oder gar Vorgesetzen um? Wir wollen in unseren Workshops ganz praktisch auf Social Media insgesamt und unsere Guidelines im Besonderen eingehen.
Wichtig ist mir zu betonen, dass wir keine Policy geschaffen haben. Warum? Eigentlich ist alles bereits in unseren Rechtsvorschriften abgedeckt – im Patienten- und Mitarbeiterdatenschutz, in den Geheimhaltungspflichten, im Umgang mit Medienanfragen etc. Dennoch erstellten wir die Guidelines, um die Vorschriften praktisch auf die neuen Medien zu übertragen. Sie sollen unseren Mitarbeitern helfen und sie unterstützen.
Eine Online-Beratung durch Ärzte und Pflegekräfte ist aktuell noch in vielen Bereichen Zukunftsmusik, ganz einfach weil es rechtliche Rahmenbedingungen nicht zulassen. Unsere Mitarbeiter haben gute Ideen und wir prüfen dann gemeinsam, was wir jetzt und in Zukunft verwirklichen können.
:4: Wie der Digital Influence Index 2012 zeigte: Patienten recherchieren heute zu Diagnosen und Symptomen – oder lassen ihre Kinder und Enkelchen im Netz nach Informationen googlen. Wie geht Ihr Klinikum mit diesem medizinischen Halbwissen um?
Raphael Doderer: Ja, „Dr. Google“ begegnet unseren Ärzten immer mehr im Alltag. Wie sagte unser Vorstand so schön beim Social Media Club: Die Oma kommt mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus, der Enkel mit der Diagnose aus dem Internet hinterher. Natürlich müssen die Experten damit umgehen (lernen), dass Patienten zunehmend aufgeklärter und damit auch souveräner sind.
Ehrlich gesagt: Ganz neu ist das nicht. Viele Patienten haben sich in Selbsthilfe-Gruppen organisiert und darüber schon in den vergangenen Jahren immenses Wissen aufgebaut. Damit müssen wir auch im Krankenhaus leben – und wir bleiben im Dialog. Mit den organisierten Patienten und jedem einzelnen. Die Beratung bleibt wichtig, ein persönliches Gespräch und das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ersetzt die Online-Recherche sicher nicht.
Für uns als Klinikum bedeutet dies: Wir können aktiv zum Wissen der Patienten über ihre Krankheit beitragen. Schon heute bietet unser Patientenmagazin regelmäßig umfassende Informationen zur Medizin und Pflege. Diesen Content werden wir immer mehr crossmedial vernetzen. Über 700 Ärzte am Klinikum tragen zur „Beratung“ online bei, wenn sie laienverständlich ihre Informationen zur Verfügung stellen. Derzeit fokussiert sich dies noch auf sehr gute Patientenveranstaltungen – warum stellen wir aber nicht in Zukunft die Folien bei Slideshare ein, ergänzen das Ganze mit einem Video der Veranstaltung und bietet regelmäßige Online-Chats? Erste andere Krankenhäuser sammeln damit bereits Erfahrungen – auch wir werden erfolgreiche neue Modelle in Zukunft sicher nutzen.
:5: Wagen wir einmal den Blick zu 2030 – wie sehen Sie die Zukunft von Social Media im Gesundheitsbereich? Wie werden mobile Geräte den medizinischen Alltag verändern, wenn sie Ärzte, Pflege und Patienten vernetzen?
Raphael Doderer: Sicher ist für mich, dass sich die Digitalisierung und Vernetzung fortsetzen wird. Auch im Gesundheitswesen werden neue Medien immer mehr Verbreitung finden – die papierlose Krankenakte, der Patient, der von Zuhause aus seine Daten über mobile Applikationen ins Krankenhaus überträgt, der digitale Austausch zwischen Rettungsdienst und Notaufnahme. Erste Schritte in diese Richtung sind schon heute erkennbar, gute Datenschutz- und Sicherheits-Lösungen werden entwickelt, damit Patienten die Hoheit über ihre Daten und Informationen behalten.
Ich persönlich verspreche mir davon, dass nicht die Technik das Menschliche im Klinikalltag ersetzt, sondern dass digitale Medien und der Workflow mehr Zeit für den Menschen ermöglichen. Heute sprechen wir dauernd von Arbeitsverdichtung, Pflegekräfte und Ärzte hätten zu wenig Zeit für ihre Patienten. Es geht nicht darum, immer schneller und effektiver zu arbeiten – wir müssen in Zukunft im Krankenhaus anders arbeiten. Dafür benötigen wir auch die Unterstützung von digitalen Technologien.
Der Patient wird mit seinem Hausarzt, seinen Kliniken und seinen sozialen Einrichtungen vernetzt und umsorgt werden. Der Mensch rückt wieder in den Mittelpunkt – dank der digitalen Angebote. Gleichzeitig müssen Patienten in die neuen Angebote vertrauen – und wie schaffen wir das? Sie müssen ihren Ärzten, ihren Pflegekräften, allen am Behandlungsprozess beteiligten vertrauen können. Auch in Zukunft wird niemand das Vertrauen in die Menschen, die Medizin leben, ersetzen können.
Herzlichen Dank für ein spannendes Interview, Herr Doderer!
Illustrationen: DoSchu.Com mit Fotos von Miguel Saavedra / freeimages.com sowie Thiago Miqueias / freeimages.com (Klick zeigt Bild vergrößert an)
Disclaimer: Es bestehen keine geschäftlichen Verbindungen zu den erwähnten Unternehmen
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„5 Antworten :: Social Media & …“ – Interview Serie im Blog